Neue Zürcher Zeitung 11.02.2008, Nr. 34, S. 0 Spektrum Deutschland Int G. Kolbe, Ko Von Napoleon verfolgt - mit Preussen im Dauerstreit Der rheinische Adel und sein Streben nach Eigenständigkeit. Der Adel im Rheinland hat schon während der Französischen Revolution seine Privilegien verloren. Doch bis heute hält er fest zusammen. Die "Genossenschaft des Rheinischen Ritterbürtigen Adels" hilft heute mit Geld, das 1837 auf Geheiss des preussischen Königs in eine Stiftung floss, jungen Adligen beim Auslandstudium. Ko. Metternich, im Januar Metternich ist ein Weiler südwestlich von Köln und nordwestlich von Bonn mit einer ursprünglich mittelalterlichen Wasserburg, wie es sie im Rheinland auch heute noch zuhauf gibt. Eine Römerstrasse führt mitten durch den Ort. Idyllische Ruhe zeichnet den Flecken aus. Fast könnte man vergessen, dass die beiden Nachbarstädte nur 20 Autominuten entfernt sind. Der Wassergraben um die Burg ist intakt wie eh und je. Das Haus steht noch genau so da wie nach dem letzten grossen Umbau im Jahr 1629, als der Zeitgeist nach barocken Ornamenten über dem Portal verlangte. Es hat Kämpfe mit den Denkmalschützern gekostet, den Rittersitz wieder so herauszuputzen, wie er sich dem Betrachter heute darbietet. Ein Kleinod, gewiss, mit einem grossen Namen obendrein. Denn "die Metternichs" stammen wirklich von hier. Die Ritter und die Revolution Der heutige Schlossherr, Franz Leo Spies von Büllesheim, warnt indes vor Verallgemeinerungen. Die beiden adligen Familien, die sich in dem Dorf niedergelassen hatten, seien keineswegs miteinander verwandt gewesen, sagt er. Man nannte sich, wie im Mittelalter üblich, nach dem Ort, in dem man lebte, und wenn man wegzog, behielt das Geschlecht den Namen bei. Es gibt mithin viele Metternichs. Der berühmte österreichische Staatsmann Klemens Fürst von Metternich wuchs in einem anderen Metternich auf, das heute ein Stadtteil von Koblenz ist. Der Teil seiner Sippe, der die Wasserburg nahe Köln bewohnte, war bereits ausgestorben, bevor der spätere Fürst das Licht der Welt erblickte. In der Wasserburg wohnten Kölner Domherren, Angehörige des kurfürstlichen Kölner Hofes und nach der Französischen Revolution auch Bürgerliche. In den Besitz einer Familie des ritterbürtigen rheinischen Adels, derer von Spies nämlich, gelangte die Wasserburg erst wieder gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Fürst Metternich hatte das Glück, wie einige andere Angehörige des rheinischen Adels 1803 für den Verlust der linksrheinischen Besitzungen mit schwäbischen Klostergütern, im Falle Metternichs mit dem Fürstentum Ochsenhausen, entschädigt zu werden. Die meisten Adelsfamilien aber traf die Französische Revolution mit voller Härte. Aus Grafen, Rittern und Herren wurden Citoyens. Sie verloren ihre Privilegien und waren alsbald wirtschaftlich ruiniert. Was der Revolution nicht gelang, vollendete Napoleon. "Hatte man die Revolution nur als eine momentane Sturmflut, die Beschlüsse der Republik und die Erlasse der Kommissare als vorübergehende Irrungen betrachtet, so suchte Napoleon systematisch den Adel zu vernichten", klagte der "Rheinische Ritterbürtige Adel" noch 130 Jahre später in einer Festschrift. Der Ururgrossvater als Zeitzeuge Der Ururgrossvater des heutigen Eigentümers von Burg Metternich, Ludwig Spies von Büllesheim, schrieb Geschichte, zunächst als Chronist der Franzosenzeit am Rhein und später als eifriger Streiter um die verloren gegangenen Rechte. Anschaulich schildert er in seinen Jugenderinnerungen, wie die "wilden Horden" der Revolution im Linksrheinischen vordrangen. Der Adel verliess seine Güter. Man floh aufs rechte Rheinufer. In Düsseldorf, dem Regierungssitz des Herzogtums Jülich-Berg, trafen die Flüchtlinge auf österreichische Truppen und französische Adlige, die lange vor ihnen das vermeintlich rettende Ufer erreicht hatten. Doch dann beging ein General Kerpen, wie der Ahnherr als Chronist anmerkt, eine fragwürdige Heldentat. Er liess ein von französischen Truppen eingenommenes Brückenhaus auf dem linken Ufer beschiessen. Schon der erste Schuss, schildert Spies von Büllesheim, "schlug durch das Brückenhaus durch in ein Zimmer, wo eben drei französische Offiziere, unter ihnen ein General, frühstückten, und tötete diese". Die "durch blossen Mutwillen herbeigeführte Katastrophe" habe die republikanische Armee in einem Masse erbittert, dass sie Düsseldorf in Brand schoss. Der Urahn war Zeuge der Bombardierung wie später auch der Eroberung und der französischen Besetzung der bergischen Residenzstadt. 1798 zog die Familie wieder zurück ins Linksrheinische. Von Spies schildert die Rückkehr als Folge der finanziellen Misere. Es gab aber noch einen anderen Grund, den alten Besitz so schnell wie möglich wieder aufzusuchen. Wer gen Osten geflohen war und nicht beizeiten heimkehrte, verlor sein Eigentum. Es wurde konfisziert und an städtische Patrizier oder wohlhabende Bürgerliche versteigert. Der alteingesessene Adel hatte das Nachsehen. Dabei waren, wie Ludwigs Ururenkel Franz Leo erzählt, seine Vorfahren schon in feudaler Zeit nicht auf Rosen gebettet. Anders als im deutschen Osten trugen die rheinischen Rittergüter bereits unter den pfälzischen Kurfürsten und Herzögen von Jülich-Berg nur unzulänglich zum Lebensunterhalt ihrer Besitzer bei. Wesentliche Einnahmequellen waren die Gerichtsbarkeit, die Mühlen- und die Fischereirechte. Vor allem aber hatten die Ritter Sitz und Stimme im Landtag zu Düsseldorf. Dies war wichtig, war ein Landtagssitz doch Voraussetzung für ein Amt am pfälzischen Hof und damit für eine dem Stande angemessene Besoldung. Aber nach der Eingliederung des linken Niederrheins als Département Rur (französisch wie niederländisch: Roer) mit der Hauptstadt Aachen ins Erste Kaiserreich gingen auch diese Pfründen verloren. Preussens unbeliebte Herrschaft Im Zeitalter der Restauration hätte der Adel am linken Niederrhein der natürliche Verbündete des neuen Landesherrn sein können. Doch die Hoffnung, das Königreich Preussen werde die alte feudale Ordnung wiederherstellen, trog. Alle Versuche der Regierung in Berlin, zum alten Recht zurückzukehren, scheiterten an der Aufsässigkeit des rheinischen Bürgertums, das von der französischen Herrschaft behalten wollte, was ihm nützlich schien: den Code Napoleon, die öffentlichkeit der Gerichtsverfahren, die Gemeindeordnung und die Rechtsgleichheit von Stadt und Land. 20 Jahre lang bemühte sich der Adel vergeblich um Restitution. Zweimal scheiterte er mit seinem Begehren am Provinziallandtag, und zwar auch deshalb, weil Preussen jedem Rittergutsbesitzer, ob adliger oder bürgerlicher Herkunft, einen Landtagssitz zugestanden hatte. Der Adel brachte keine Mehrheiten mehr zustande. Erst 1837 kam er ans Ziel. Der preussische König Friedrich Wilhelm III. setzte sich auf dem Verordnungswege über Parlamentsbeschlüsse hinweg. Für 30 adlige Familien, die wie Pech und Schwefel zusammenhielten, setzte er wenigstens das französische Erbrecht ausser Kraft und führte das Fideikommiss wieder ein. Die rheinischen Ritter durften also wieder wie vor der Revolution zur Erhaltung ihres Besitzes den Familienältesten als Alleinerben einsetzen. Listig allerdings hatte der König, wie von Spies erzählt, seine Zustimmung an Bedingungen geknüpft. Friedrich Wilhelm III. verpflichtete die eigens gegründete "Genossenschaft des Rheinischen Ritterbürtigen Adels", den nicht erbberechtigten Söhnen eine angemessene Ausbildung und den unverheirateten Töchtern eine Pfründe zu garantieren. Jede Familie zahlte zu diesem Zweck 3000 Taler in eine Stiftung ein. Ausserdem musste die Genossenschaft geloben, künftig auch Protestanten aufzunehmen - im streng katholischen Rheinland ein Sakrileg. Stipendien für Auslandstudien Für sich eingenommen hatte der König weder das Bürgertum noch die adligen Grossgrundbesitzer am Rhein. Als er sich massiv in religiöse Angelegenheiten einmischte und den Kölner Erzbischof Klemens August von Droste-Vischering verhaften und auf der Festung Minden einsperren liess, da ergriff die Ritterschaft zur Enttäuschung Berlins Partei für den Kirchenfürsten und den Vatikan. Der Streit mit der Kirche vereinigte, wie der Historiker, königliche Archivassistent und Kölner Stadtarchivar Joseph Hansen in einer Schrift über 100 Jahre preussischer Herrschaft am Rhein feststellte, "aristokratische und demokratische Rheinländer". Die Konfession als Massenbewusstsein, schrieb Hansen, sei der Nerv einer politischen Parteibildung geworden. Die gegenseitige Abneigung zwischen Rheinländern und Preussen verfestigte sich. Völlig überwunden wurde sie nie. Preussen existiert zwar nicht mehr. Die "Genossenschaft des Rheinischen Ritterbürtigen Adels" aber besteht immer noch. Ein Privatgymnasium mit Internat, die Ritterakademie in Bedburg, die auf Verlangen des Königs gegründet wurde, fiel Geldmangel und schliesslich der Inflation in den zwanziger Jahren zum Opfer. Etwas Vermögen jedoch blieb übrig. Spies von Büllesheim erinnert sich, dass die Prämie, die er erhielt, gerade für den obligaten schwarzen Anzug im juristischen Staatsexamen reichte. Heute vergibt die Stiftung Stipendien für Studienaufenthalte ausserhalb der EU. Auch das Fräuleinstift für unverheiratete Töchter auf Schloss Ehreshoven im Bergischen Land ist erhalten geblieben. In den letzten Jahrzehnten nahm es viele Adlige ursprünglich einmal rheinischer Herkunft aus Ost- und Südosteuropa auf. An gleicher Stelle befindet sich das Archiv der Ritterschaft, welches das Rheinische Archiv- und Museumsamt des Landschaftsverbandes Rheinland wie viele andere rheinische Adelsarchive betreut. Für Historiker ist es heute eine der wichtigsten Quellen, die Auskunft geben können über das Leben auf dem Lande in feudaler Zeit. Verbliebener Glanz aus alter Zeit Der heutzutage bekannteste rheinische Ritter ist Philipp Freiherr von Boeselager. Er war einer der Jüngsten in der Widerstandsgruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Auch als Neunzigjähriger hält er an Schulen noch Vorträge über das gescheiterte Attentat auf Hitler im Juli 1944. Das Dorf Metternich ist eine Randgemeinde für Pendler geworden. Trotzdem ist etwas vom Lebensstil vergangener Epochen geblieben. Auf der Burg finden gelegentlich Konzerte statt. Unter dem Dach hat sich die Hausherrin ein Atelier eingerichtet. Die Baronin ist passionierte Malerin, hat an der Münchner Kunstakademie studiert, ihre künstlerische Karriere jedoch der Familie geopfert. Unter dem Namen Marél von Steinling hat sie bereits ausgestellt, allerdings, als erwarte man dies vom Adel auch heute nicht anders, um Geld für soziale Zwecke zu sammeln. Es wirkt wie Ironie, dass der heutige Burgherr als junger Rechtsreferendar an einer der letzten Gerichtsverhandlungen nach dem Code civil teilnahm, den sein Ururgrossvater doch schon vor fast 200 Jahren abschaffen wollte. Erst 1969 nämlich ersetzte das Bundesland Nordrhein-Westfalen das französische Nachbarschaftsrecht durch ein eigenes Gesetz. 1044345, NZZ , 11.02.08; Words: 1519, NO: FWKVL (c) GBI-Genios Deutsche Wirtschaftsdatenbank GmbH |